Es gibt Berufe, in die man hineinrutscht. Und es gibt Berufe, in die man hineingeht, weil da etwas in einem ruft. Pflege und Soziale Arbeit gehören fast immer zur zweiten Kategorie.
Schaut man in die Trendstudie zur Situation der Fachkräfte in Pflege und Sozialer Arbeit, sieht man genau das schwarz auf weiß. Die meisten Fachkräfte sind angetreten, weil sie mit Menschen arbeiten wollen. Weil sie etwas Gutes tun wollen. Weil sie der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen. Geld und Karriere stehen erst weit hinten.
Das ist eine der stärksten Ressourcen, die ein System haben kann. Und es ist gleichzeitig sein größtes Risiko.
Denn wer aus Überzeugung arbeitet, hält lange durch. Aber nicht unbegrenzt.
Die stille Verschiebung: vom Sinn zur Erschöpfung
Fast die Hälfte der Befragten denkt laut Studie darüber nach, den Beruf zu verlassen. Nicht, weil sie plötzlich keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit sehen. Sondern weil sie unter Bedingungen arbeiten, die diese Sinnhaftigkeit jeden Tag ein bisschen mehr auffressen: Dauerstress, Personalmangel, zu wenig Lohn, zu wenig Anerkennung, zu viel Bürokratie.
Das ist kein persönliches Versagen. Das ist ein Systemfehler.
Ein System, das seine stärkste Ressource, die intrinsische Motivation der Menschen, jahrelang wie ein nachwachsendes Gut behandelt, darf sich über die Quittung nicht wundern. Wer Menschen immer wieder signalisiert: Deine Haltung ist wichtig, aber deine Zeit und dein Gehalt sind verhandelbar, baut keine Resilienz auf, sondern Zynismus.
Und Zynismus ist in der Pflege so toxisch wie jede Unterbesetzung.
„Wir brauchen Veränderung – nicht irgendwann, sondern jetzt"
Die Studie bringt es an mehreren Stellen erstaunlich klar auf den Punkt. Die Fachkräfte wissen sehr genau, was sie brauchen. Bessere Bezahlung. Mehr Personal. Mehr Zeit für die eigentliche Arbeit mit Menschen. Entlastung bei der Dokumentation. Digitalisierung, die tatsächlich hilft, statt neue Hürden aufzubauen.
Es ist also nicht so, dass es keine Ideen gäbe. Es fehlt nicht an Analyse. Es fehlt nicht an Studien. Es fehlt an Umsetzung.
Das ist der Punkt, an dem sich die Perspektive drehen muss: Nicht die Beschäftigten sind „veränderungsresistent". Das System ist es. Denn es verteidigt seine Routinen besser, als es seine Menschen schützt.
Digitalisierung: Hebel oder weiterer Stressfaktor
Spannend wird es dort, wo die Studie auf digitale Themen schaut. Die Mehrheit arbeitet inzwischen in teilweise digitalen Strukturen. Apps, Schichtplanung, digitale Doku, das alles ist nicht mehr exotisch. Aber nur ein kleiner Teil erlebt wirklich durchgängig digitale, mobile Prozesse. Und ein nicht zu kleiner Rest sitzt immer noch zwischen Papierordnern, Insellösungen und halb genutzten Tools.

Das Problem ist nicht Technologie. Das Problem ist die Art, wie sie eingeführt wird.
Wenn Schulungen fehlen, wenn die Technik wackelt, wenn Datenschutz als Schreckgespenst und nicht als Gestaltungsaufgabe behandelt wird, dann wird aus einem Entlastungsversprechen sehr schnell ein weiterer Stressfaktor. Die Studie benennt genau das: fehlende Schulung, technische Probleme, finanzielle Engpässe als Hauptbremsen.
Die Fachkräfte selbst sind deutlich weiter. Sie wünschen sich mobile Dokumentation, digitale Schichtplanung, smartes Medikationsmanagement, bessere Vernetzung und KI-Unterstützung bei Routinetätigkeiten.
Also alles, was ihnen Zeit zurückgibt, Klarheit schafft und Fehler reduziert. Digitalisierung ist für sie keine Imagefrage. Sie ist eine sehr praktische Frage: Habe ich nach einer Schicht mehr oder weniger Luft als vorher.
KI in der Pflege: Misstrauen? Ja. Ablehnung? Nein.
Besonders interessant ist der Blick auf Künstliche Intelligenz. Ein großer Teil der Befragten sagt: KI kann einen sinnvollen Beitrag zur Unterstützung von Routinetätigkeiten leisten. Also genau dort, wo heute wertvolle Minuten in Dokumentation, Planung, Abstimmung und Nacharbeit verschwinden.
Das ist eine klare, fast schon laute Zustimmung.
Natürlich gibt es Bedenken. Datenschutz, Kontrolle, Transparenz. Völlig zurecht. Aber die Grundhaltung ist nicht „bloß keine KI", sondern eher: Zeigt uns bitte eine KI, die uns wirklich hilft, dann sind wir dabei.
Die Zukunftsfrage lautet also nicht, ob KI in die Pflege kommt. Die Frage ist, wer sie gestaltet. Mit welcher Haltung. Unter welchen Rahmenbedingungen. Und ob wir sie nutzen, um Menschen zu ersetzen, oder um ihnen Zeit zurückzugeben, damit sie wieder das tun können, wofür sie mal angefangen haben.
Was heißt das für Träger und Einrichtungen konkret?
Wenn man die Studie ernst nimmt, ergeben sich drei sehr klare Hausaufgaben.
Sinn nicht länger ausnutzen
Wer Berufung als Hauptmotivation im System hat, muss sie schützen. Durch faire Bezahlung, verlässliche Personalplanung, klare Entwicklungspfade und echte Anerkennung, nicht nur in Kampagnen, sondern im Alltag.
Digitalisierung vom Alltag her denken
Kein Tool, weil es modern klingt. Sondern Lösungen, die mobile Dokumentation, Schichtplanung, Medikationssicherheit, Kommunikation und Vernetzung so verbinden, dass am Ende Zeit, Sicherheit und Übersicht gewinnen. Und immer mit Schulung und Begleitung. Ohne das bleibt jede Innovation Stückwerk.
Führung neu definieren
Die Studie zeigt deutlich, wie hoch der Innovationsbedarf bei Führung, Organisation und Bürokratieabbau ist. Wer heute ein Team in der Pflege führt, managt nicht nur Dienste. Er oder sie gestaltet Kultur. Kommunikation. Den Umgang mit Überlastung. Den Rahmen, in dem Digitalisierung als Hilfe erlebt wird – oder als weitere Zumutung.
Die eigentliche Botschaft: Pflege weiß längst, was zu tun wäre
Vielleicht ist das Bitterste an dieser Studie nicht die Schwere der Probleme, sondern die Klarheit der Antworten: Die Menschen im System wissen sehr genau, was fehlt. Und sie wissen, was funktionieren würde.
Es mangelt nicht an Bereitschaft. Es mangelt an Konsequenz.
Wenn wir ernsthaft wollen, dass Pflege eine Zukunft hat, die diesen Namen verdient, dann sollten wir aufhören, immer neue Appelle an die Berufung der Menschen zu richten. Diese Berufung ist da. Sie ist stark. Aber sie ist keine unendliche Ressource.
Die Logik muss sich drehen. Nicht die Pflegekräfte müssen immer wieder beweisen, wie belastbar, flexibel und motiviert sie sind. Das System muss beweisen, dass es diese Motivation verdient.
Die Trendstudie liefert dafür eine ziemlich klare Checkliste. Jetzt ist die Frage, wer sie abarbeitet.
Quellen und weiterführende Hinweise
Dieser Beitrag basiert auf zentralen Ergebnissen einer Trendstudie zur Situation von Fachkräften in Pflege und Sozialer Arbeit. Die Zahlen bestätigen, was viele Einrichtungen seit Jahren spüren: hohe Identifikation, große Belastung, klare Vorstellungen davon, was sich ändern müsste.
Wichtig ist, solche Studien nicht nur als Zitatgeber zu benutzen, sondern als Anlass für konkrete Fragen an Träger und Einrichtungen. Was heißt das für unser Haus. Für unsere Führung. Für unsere Digitalisierung. Und für unsere Arbeitgebermarke.
Studienquelle
myneva Group GmbH
Markt 1, 45127 Essen
Website: www.myneva.eu
Die verwendeten Daten und Zitate stammen aus einem im Jahr 2025 veröffentlichten Bericht der myneva Group zur Lage der Fachkräfte in Pflege und Sozialer Arbeit.
Weiterführende Impulse von Marketingpflege
Wenn Sie die Ergebnisse der Studie in konkrete Schritte für Ihr Haus übersetzen möchten, können folgende Ressourcen hilfreich sein:
- Employer Branding in der Pflege
- Recruiting in der Pflege
- Digitalisierung und Content im Gesundheitswesen
- Content Marketing für Pflege
Aus Studien werden dann Entwicklungen, wenn sie in klare Entscheidungen, transparente Prioritäten und konkrete Projekte münden. Genau dabei begleiten wir Einrichtungen und Träger im Gesundheitswesen.



